Allein in Rio leben 1,8 Millonen Menschen in den Slums. Soviele wie in ganz Hamburg.
Allein in Rio leben 1,8 Millonen Menschen in den Slums. Soviele wie in ganz Hamburg.

23 Juli 07, Brasilien, Rio de Janeiro, DIE VERGESSENEN...ZU BESUCH IN DEN SLUMS DER "CITY OF GOD"

Sie stehen auf den Daechern und beobachten jeden unserer Schritte. Halbe Kinder. Ganze Maschinengewehre.
Ein kleiner Junge laeuft zwischen den Bewaffneten herum. Sie tragen ihre glaenzenden Waffen am Guertel, um den Oberschenkel geschnuert, schweres Geschuetz auf den Ruecken geschnallt.
"Das hier ist die Grenze", sagt unser Guide Bernardo. "Weiter wagt sich kein Polizist."


Er kennt die Slums, die Maechtigen hier. Ungewollt betritt niemand das Plaster der Favelas. Bernardo erzaehlt von seiner Drogenvergangenheit. Ich schaetze ihn auf Anfang 30. Spaeter erzaehlt er, dass er gerade 24 geworden ist.
Einige Fenster sind geoeffnet. Ich sehe, was Leben ohne Geld bedeutet. Ein Bett, ein Schemel, schaebig, schmutzig, Wasserlachen auf dem Boden.
Trotzdem, fast jede Huette hat einen Fernseher, einen Computer, eine Stereoanlage.
Eine frischgestrichene Tuer, blau und weiss, in einem der Bretterverschlaege, darauf ein Schild mit der Aufschrift "Jesus, wir danken dir."
Wasser laeuft in Rinnsalen die ausgetretenen Stufen hinunter.
Die Maedchen in den Favelas sind jung, schwarz, schwanger.
Ein Mann kommt uns schwer atmend entgegen. Ein zweiter. Sie tragen Fernseher, Wasserkanister.
Die Gaenge zwischen den Baracken sind so eng, dass ich die Entgegenkommenden streife. Sie riechen nach Seife.

Nicht mein Bild. Aber es kam mir vor, als koennte jeden Moment ein Schusswechsel starten.
Nicht mein Bild. Aber es kam mir vor, als koennte jeden Moment ein Schusswechsel starten.

Sie laden Jens zum Fussballspielen ein. Die Waffen liegen solange auf einem Stapel in der Ecke.
Die Koerper der jungen schwarzen Maenner glaenzen wie feuchte Erde. Ich finde sie schoen.
"Die Drogenbarone helfen hier", erklaert Bernardo. "Sie zaehlen Medikamente, Schulbuecher. Und sie zahlen Gehaelter an ihre Helferkinder, die damit ganze Familien ernaehren".
Ein junger Mann mit einer silbernen Waffe spricht mich auf Portugiesisch an. Ich verstehe ihn nicht. Wir lachen. Ich nervoes. Er froehlich.

Kinder lassen Drachen steigen. Die bunten Papierfetzen flattern im Himmel ueber den Slums.
Ueber allem, dem Schoen und dem Erschreckenden wacht Christo, das Wahrzeichen der Stadt, mit ausgebreiteten Armen.

Da laufen wir morgen rauf!
Da laufen wir morgen rauf!
21 Juli 07, Brasilien, Rio de Janeiro, DIE LETZTEN TAGE LAUFEN

Der Himmel ueber Brasilien ist in Aufruhr. Die Abendsonne scheint die Schoenwetter-Zirren aufzusaugen. In wilden Mustern schleichen die Wolken ueber Bergwellen Richtung Horizont. Vor dem magentafarbenen Horizont lassen Kinder Drachen steigen. Ich moechte mir die Augen reiben, denn das hier ist Sao Paolo, eine der gefaehrlichsten Staedte der Welt. Doch durch mein Busfenster ist alles friedlich.

Hochhaeuser, Bretterverschlaege, Tankstellen, Taeler, Huegel, Seen rauschen vorbei. Langsam wird es Nacht. Wir sitzten seit mittlerweile 23 Stunden im Bus und noch ist kein Ende in Sicht. Meine Augen bleiben an den Schatten haengen, Bilder aus den vergangenen neun Monaten tauchen auf und verschwinden wieder.

Wir befinden uns auf dem Weg nach Rio. In dieser Woche sassen wir an die 70 Stunden im Bus. Nichts, was ich vermissen werde.
In Rio endet unsere Reise. Noch vier Tage bis ich aus dem Flugzeugfenster schaue und Suedamerika unter uns zurueckbleibt.
Doch bis dahin werden Jens und ich noch Caipirinha trinken, die Copacabana entlangradeln und den Jesus Christo anfassen. Noch ist Weltreise. Noch ein kleines Weilchen Freiheit ganz woanders.